Viele Menschen wünschen sich eine veränderte Lebenssituation. Sie halten es zuweilen mit sich und Ihrem Leben regelrecht nicht mehr aus, erleben aber, dass ihr Umfeld – beruflich und/oder privat –, die erlösende, ersehnte Haltung nicht hervorrufen kann oder unterstützt – ja, sie gefühlt sogar zu verhindern scheint. „Wie komme ich von A nach B“, fragen viele, „ohne dass ich mein ganzes Leben auflösen muss, Sicherheit und Halt verliere, am Ende nichts mehr habe?“ Oder um es ganz plakativ zu sagen: „Wie finde ich Frieden in meinem persönlich erlebten Krieg, ohne Sterben zu müssen?“
Das Loslassen ins Nichts, ins Unbekannte, Formlose – also ein Sterben im psychisch-mentalen Sinne –, ist hier schon ein guter Anfangspunkt. Damit ist nicht der Verlust im materiellen oder körperlichen Sinne gemeint, sondern die Auflösung von Gedankenformen und konditionierten Reaktionen auf das gewohnte und darauf eingespielte Umfeld. Sie haben vielleicht schon davon gehört, dass der Geist die Materie bestimmt und die Energie der Aufmerksamkeit folgt. Über diesen Weg der Bewusstwerdung verbunden mit der Auflösung gedachter, begrenzender Identitäten oder Rollenbilder lässt sich das gleiche Leben in ein anderes – freieres – Erleben bringen. Und für den Fall, dass tatsächlich lebensverändernde Schritte im Außen not-wendend sind, dann finden wir auf diese Weise die beste Ausgangshaltung für einen Neubeginn – nämlich keine Erstarrung, keine Flucht, sondern das Leben im Hier und Jetzt aus der Erkenntnis heraus gestaltet: Was ist der nächste beste Schritt auf meinem wahren Weg?
In sich selber alles auf Null zu setzen, weil es gar nicht mehr anders geht, weil jeder Schritt im gleichen Modus nur noch mehr Verhedderung, Schmerz oder Verwirrung stiftet, kann ein tiefes Gefühl von Frieden erzeugen. Ich höre auf zu kämpfen, Widerstand zu leisten, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen oder aber das Leben und damit auch mich selbst für mein Unglücklichsein zu bestrafen. Ich kehre darüber zu mir selbst zurück – in einfachster Form. Also erster Schritt. Loslassen, Abstand nehmen, Atmen.
Dann zweiter Schritt: Sich selbst beobachten, Erkennen – Die Lösung, der Schlüssel und der Ausgangspunkt für alle Erscheinungen liegen in uns selbst. Glauben Sie mir: Himmel und Hölle sind keine Orte – sie sind Zustände. Sie haben ganz viel mit unserer erlebten Geschichte zu tun und die daraus entstandenen Gedankenformen und Wahrnehmungsgewohnheiten über uns und unser Leben. Ob du also etwas Äußeres verändern musst oder verändert dort bleibst, wo du bist, und darüber eine andere Resonanz gestaltest – diese Antwort findest du erst, wenn du in dem ganzen Schlamassel und Schmerz wieder bei dir selber angekommen bist und dich, deine Lebensgeschichte und ihre Spiegel im Außen verstehst.
Ja, es ist die Lebensgeschichte, die wir erfahren haben, und es ist das Leben, in dem wir grade oder vielleicht schon immer belastet, nicht glücklich sind oder nicht zurecht kommen. Und ja, es ist schwer, das nicht persönlich zu nehmen, denn es hat mit uns zu tun, es passiert wirklich. Und doch sind wir es nicht, wir sind nicht unsere Geschichte genauso wenig wie wir unsere Gedanken sind. Aus der vergangenen Geschichte hat sich unsere Identität gebildet – ein gedankliches Konstrukt, ein gedachtes Ich, das uns viel zu oft bedrückt, begrenzt, aber eben auch vertraut ist, weil wir kennen uns und das Leben ja nicht anders. Mit diesem gedanklichen, aus unserer Geschichte abgeleiteten Ich reagieren wir, so wie wir es gelernt haben, aber eher selten so, wie es uns sinngebend im Augenblick glücklich macht. Glück wie auch Erfüllung ist vielmehr etwas, das in der Zukunft von Außen kommt, wenn nur erst andere Bedingungen da sind. Und so kommen wir zu der Vorstellung, dass uns ein Außen in der Zukunft erlösen muss – wie Dornröschen, die auf den Kuss wartet –, oder dass das Außen zu unserem Gegner wird und über ein Mehr, Stärker, Besser, Weiter, Erfolgreicher bezwungen werden muss – wie der Prinz, der die Dornenhecke unter Einsatz seines Lebens zerschlägt. Eine andere, selbstbestimmtere Variante wäre: Sei wach, bevor du geküsst wirst! Und: Lerne aus der Erfahrung deiner Vorgänger und wähle den weisen Weg des Wachstums.
Genau hier braucht es Bewusstsein – Bewusstheit und Wach-Werden über uns und unser Sein. Bleiben wir über uns unbewusst, so reagieren wir weiterhin auf und mit unseren erlernten Mustern, die überwiegend aus der Kindheit stammen oder daraus als Selbstbild abgeleitet worden sind. Das Außen reagiert wiederum auf uns, da zumeist auch unbewusst oder mit sich selber genug beschäftigt. Wir reagieren dann wieder auf das Außen, das uns wahrscheinlich noch nicht mal erkannt hat, sondern bislang nur auf unsere überwiegend unbeabsichtigten Energien angesprungen ist. Alle fühlen sich im Recht und keiner kann etwas dafür, da ja alle nur reagiert haben und keiner absichtlich gehandelt hat. In uns hat sich hier nur schon längst wieder eine konditioniert-wiederholte Bewertung eingeschlichen – zumeist mit den Emotionen, die wir an uns gut kennen und die ebenfalls aus unserer erlernten Selbstwahrnehmung stammen – so etwa Schmerz, Enttäuschung, Gereiztheit, Wut, Hass, Neid … so wie es halt immer schon war, so wie wir es kennen.
Nur ganz selten durchbrechen in der Begegnung Menschen unseres „zufällig gewählten“ Alltags diesen Reaktionskreislauf. Sie müssten ausgesprochen bewusst sein und das Muster erkennen, um neue Erfahrungen entstehen zu lassen. Auch müssten sie den Wunsch haben, nicht Teil eines Reaktionsmusters zu sein. Ihr Ego nutzt unter Umständen den Streit, die Vorwürfe oder Verletzungen selbst genauso, um den eigenen Schmerzkörper zu nähren oder Druck abzulassen. So geschieht es in Mobbingsituationen – ein Thema, über das ich in einem späteren Beitrag ausführlicher sprechen möchte, weil es ein so wichtiges menschliches Phänomen ist, dass schon in den Kindergärten seinen Anfang nimmt.
Das Leben im Jetzt braucht diese gedachten, selbstbewertenden Identifikationsformen nicht, auch nicht für klares, sachlich-zielgerichtetes oder zwischenmenschlich-entwickelndes Handeln. Sie sind stets relativ niemals absolut und begrenzen dort innerlich wie äußerlich, wo neue Wege und Haltungen entstehen müssen. Wenn wir lernen, uns unseres wahren Selbst bewusst zu werden, bei uns, im Jetzt ankommen und von dort aus unsere vergangene Geschichte sowie den daraus entstandenen unerlösten Schmerz und unerfüllte Lebensmuster als solche erkennen, hören wir auf zu reagieren und beginnen selbst zu bestimmen und zu gestalten. Das ist der Weg von A nach B, er beginnt im Inneren, am Ursprung der Formgebung. Auf diesem unseren wahren Weg lässt er uns authentische Schritte machen, die entweder das Bestehende erhalten lassen – aber nicht aus Erstarrung, sondern Wertschätzung – oder aber die Veränderungen angehen lassen, – nicht als Flucht, sondern aus dem Wunsch, sein Leben verantwortungsvoll zu gestalten.
In jedem Leben gibt es einen roten Faden, der, wenn du ihn über deine bewusste Gegenwärtigkeit wieder in den Händen hältst, zu den Zügeln deines Lebens wird – das ist dein wahres Sein, dass dir dann auch vermittelt, wofür deine Geschichte wichtig war, was du aus ihr als Essenz gewonnen hast, um deinem Leben selbst Gestalt zu geben.